Von Cornelia Henze
Bergen - Vier Kunststudenten von der Hochschule für Bildende Künste Dresden nutzen den morbiden Charme einer verlassenen Villa und installieren darin Kunstobjekte.
Ein Künstler-Quartett aus Dresden hat die Villa an der Poppengrüner Straße wieder zum Dorfgespräch gemacht. Am Wochenende wurde sie bestens besucht. Viele Bergener waren entsetzt über deren Bauzustand. Fotos: David Rötzschke
Die Künstler lassen die Öffentlichkeit daran teilhaben, indem sie am ersten September-Wochenende für zwei Tage Gastgeber für Jedermann sind. „Freie Presse“ berichtete und zitiert Bergens Ortsvorsteher Günter Ackermann zu den einstigen Besitzern des imposanten Hauses an der Poppengrüner Straße. Danach soll der Hausherr ein gewisser Windisch gewesen sein, der bis in die 1930er-Jahre Kleidung und im Dritten Reich auch Wehrmachtsuniformen konfektioniert hat. Der Nachfolgebetrieb sei nach dem Krieg das Bergener Bekleidungswerk gewesen. Das sei ein Irrtum, korrigiert sich nun Ackermann, der am Wochenende von etlichen Bergenern darauf angesprochen worden sei. Der Bürgermeister erlag einer Namensverwechslung und verweist auf Ortschronist Ekkehard Mothes, der es besser weiß.
Das Jahr 1911 benennt der Chronist als die Blütezeit der Stickerei im Dorf. Damals fertigten 265 motorbetriebene Stickmaschinen Gardinen, Kleidung und Weißwäsche. Wer es sich nur leisten konnte, errichtete hinter seinem Wohnhaus eine Näherei, beschäftigte je nach Geldbeutel mehr oder weniger Näherinnen und stieg ins Textilgeschäft ein. Einer der Großunternehmer in Bergen war Max Emil Windisch, der, zu Wohlstand gekommen, auf den Mauern eines Vorgängerbaues jene Villa an der Poppengrüner Straße 1 errichten ließ. Weil Windisch offenbar gut betucht war, versah er seine Villa in dem Stil, der kurz nach der Jahrhundertwende als en vogue galt: Dem Jugendstil.
Statussymbol eines Textilunternehmers: Im Sonnenlicht fangen die Fenster mit Jugendstil-Ornamentik zu leuchten an.
Wenn die Sonne auf die Fenster trifft, fangen die farbigen Jugendstil-Ornamente noch heute an zu leuchten. Selbiges Farb-Licht-Spiel ereignet sich an der gut erhaltenen bemalten Decke im Treppenaufgang, das Besucher am Wochenende mit bewundernden Ausrufen kommentieren.
In der oberen Etage angelangt, kommt man in Windischs früheren Salon: Gediegene, dunkle Holzmöbel, präparierte Vögel und Säugetiere, ein Sekretär mit Schreibutensilien, Bücherschrank und Musikinstrumente verweisen auf den großbürgerlichen Lebensstil der Familie Windisch. Jagd, Hausmusik und Bildung sind Abbild jenes Wohlstandes, den sich die Firma „Frenkel & Windisch“ mit Stickereierzeugnissen und Kragen in Seide, Baumwolle und Glanzgarn erwarb. „Diese Windischs haben die Stickerei bis etwa Ende des Krieges betrieben. Danach stand die Fabrik neben der Villa leer“, weiß Ekkehard Mothes. Nach dem Tod von Windisch senior wohnten in der Villa aber weiter dessen Sohn, der ebenfalls Emil hieß, und seine Frau Charlotte. Ältere Bergener erinnern sich noch an die Konsum-Verkaufsstelle, welche das Ehepaar in ihrer früheren Fabrik noch bis in die 1960er-Jahre führte. Da habe man alles vom Fernseher bis zur Couch kaufen können. Als Windisch junior in den 1960er-Jahren starb, gab die Witwe den Konsum auf und vermietete die Halle an einen gewissen Plank, der dort in Lohnarbeit Stickware herstellte. Charlotte Windisch bewohnte die Villa noch bis zu ihrem Tod. Das muss in den 1970er- oder 1980er-Jahren gewesen sein. Manche Bergener kamen am Wochenende beim Villen-Rundgang ins Gespräch. So können sich einige noch erinnern, als Kind bei Lotte zu Besuch gewesen zu sein. Die Villa sei immer tipptopp in Schuss gewesen, es habe gut nach Bohnerwachs geduftet.
Seit Charlottes Tod haben die Mieter oft gewechselt. „Jeder, der da ausgezogen ist, hat etwas hinterlassen“, fasst Mothes das Sammelsurium zusammen, das sich den Besuchern am Wochenende zeigte.
Die Venezianerin Amina Codraro hat in der Villa gefundene Glasbehälter zu Türmen gestapelt: Ihre Art, verbliebenen Hausrat neu zu interpretieren. Zuvor hatten die Künstler die Villa entmüllt./p>
2019 zog die letzte Familie dort aus. Unter welchen Umständen die letzten Mieter dort gehaust haben müssen, darüber wollen die Bergener nicht gern reden. „Kein Kommentar“, sagen Ackermann und Mothes unisono. Ingrid, die Tochter der Windischs, hatte die Immobilie über Jahre zum Verkauf angeboten. Nun hat eine Frau, die nahe Leipzig wohnt, die Villa erworben. Sie wolle das Haus, das sich Besuchern als heruntergekommene Ruine präsentierte, „sanft sanieren“.
Dann wäre da noch der andere Windisch, ebenfalls Textilunternehmer in Bergen – aber mit Vornamen Wilhelm. Dieser hatte ab 1879 seine Fabrik hinter der heutigen Sparkasse und konfektionierte Kleidung – und ab 1941 auch Wehrmachtsuniformen. Diese Windischs gingen nach dem Krieg in den Westen. Ihre Fabrik wurde zum Bekleidungswerk, dem größten Arbeitgeber im Dorf bis zur Wende. Emil und Wilhelm Windisch müssen aber dennoch verwandt gewesen sein.
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