Freie Presse - Auerbacher Zeitung - Donnerstag, d. 19.01.2012
Bäcker geht in Pantoffeln auf Arbeit
Vier Generationen Meister, davon haben drei Generationen für Bergen Fußball gespielt: Das ist die Bilanz einer heute 100 Jahre alten Firma.

VON LUTZ HERGERT

BERGEN —Gerd Wunderlich war froh, als er wieder Semmeln aus seiner Hausbäckerei essen konnte. Die Treppe hoch gebracht hat sie ihm sein Sohn Steffen. Der Bäckermeister führt seit 2002 die Geschäfte in der Bergener Bäckerei Wunderlich.

„Fußballpolitik wird in der Backstube gemacht.“
Steffen Wunderlich Bäckermeister

Nach dem 11. September 2011 war es vier Monate still in der Backstube: Der Firmenchef hatte sich bei einem Fußballunfall unter anderem das linke Sprunggelenk gebrochen. Konsequenz für kickenden Bäckermeister: „Schluss mit dem Fußballspielen.“ Heute sieht er seine Zukunft als Co-Trainer bei dem Abstiegsbedrohten Bergener Klub. Sein Ausstieg aus dem Spielbetrieb hat handfeste wirtschaftliche Gründe. Neben Steffen Wunderlich arbeitet auch seine Frau Peggy im Betrieb: Dadurch hängt der Broterwerb der ganzen Familie von der Bäckerei ab. Außerdem muss der 35-Jährige die Kunden zurück holen. Da ist er zuversichtlich. „Wiedereröffnung war am 10. Januar. Die Leute haben uns nicht vergessen.“ Das Thema Fußball wird die Bäckerei trotzdem weiter verfolgen. Die Kicker treffen sich bei Steffen Wunderlich zu einer Art Stammtisch. „Man kann sagen, dass die Bergener Fußballpolitik in der Backstube gemacht wird.“

Enno Wunderlich hatte 1912 die schon wenige Jahre in dem Haus an der Plauener Straße existierende Bäckerei übernommen. Das genaue Datum ist den Nachfahren nicht mehr bekannt. Er führte die Geschäfte mit einer zweijährigen Pause, als er im Ersten Weltkrieg an der Front war, bis 1945. Da er im Dritten Reich politisch aktiv war, eröffnete sein Sohn Werner die Bäckerei 1948 wieder. Nach dessen Tod führte Frau Christa das Geschäft bis 1985 und übergab es an ihren Sohn Gerd Wunderlich. Der kickte genauso wie sein Vater und sein Sohn bei Turbine Bergen in der Bezirksklasse. Da ihm infolge einer schweren Erkrankung und Durchblutungsstörungen beide Beine amputiert werden mussten, gab er die Bäckerei an Sohn Steffen weiter. Auf eine andere Tradition konnte Anfang des Jahres Anita Ködel zurück blicken: Sie arbeitet seit 25 Jahren in dem Handwerksbetrieb.

Gleich nach der Wende hatte Gerd Wunderlich kräftig investiert. „Ich hatte etwa 500.000 Mark in neue Technik und Ladeneinrichtung gesteckt. Dabei wurde auch gleich der Verkaufsraum vergrößert.“ Dadurch blieb sein Sohn – bis auf den Kauf einer neuen Kühlanlage – bisher von größeren Ausgaben verschont. Steffen Wunderlich gilt in Bergen als „der Semmelbäck“. Natürlich beherrscht der Handwerksmeister auch die Kuchen- und Feinbäckerei. Mit der Neueröffnung wurde das Angebot um einen warmen Imbiss erweitert. Jetzt kann zu frischen Semmeln auch Bratwurst oder Bockwurst gekauft werden. All die Produkte gibt es an der B 169 ab früher Stunde zu kaufen.

Filialen hat der Betrieb aktuell keine. „Als 2004 unserer Straße gebaut wurde, sind die Tageseinnahmen auf 80 Euro gesunken. Damals hatten wir zuerst einen Verkaufswagen, später eine eigene Verkaufsstelle in Neustadt.“ Die wurde aber inzwischen wieder verkauft.

Für Steffen Wunderlich war es nie eine Frage, den Beruf des Bäckers zu ergreifen: „Mit Pantoffeln auf Arbeit gehen. Wer kann das schon?“ Da spielte auch das zeitige Aufstehen keine Rolle. „Ich habe manchmal schon vor der Berufsschule in der Backstube gestanden“, erinnert sich die vierte Generation der Bergener Wunderlich-Bäcks. Die fünfte steht schon in den Startlöchern. Die Söhne Dean (zwölf Jahre) und Domenic (zehn) zeigen jetzt schon dafür Interesse. Und auch für den Fußball: „Die Uroma hat ihnen immer die Fußballschuhe geputzt.“

Die fünfte Generation der Wunderlichs-Bäcker in Bergen steht schon in den Startlöchern: Dean und Domenic (2. und 3. von links) haben Interesse am Beruf. Darüber freuen sich Mutter Peggy und Vater Steffen. FOTO: SILKE KELLER-THOSS