Freie Presse - Auerbacher Zeitung - Montag, d. 25.08.2014
Bergens ältester Einwohner
Siegfried Hüttner hat gestern runden Geburtstag gefeiert. Die Zeitung liest der Hundertjährige nach wie vor von A bis Z.

VON SYLVIA DIENEL

Siegfried Hüttner 100-jähriger Bergener FOTO: SILKE KELLER-THOSS

BERGEN — Was Siegfried Hüttner in seinem langen Leben aushalten musste, lässt er sich für gewöhnlich nicht anmerken. Fröhlich empfängt das 100-jährige Geburtstagskind am Sonntagvormittag einen Gratulanten nach dem anderen – und geht sofort zu seinem Hobby über: erzählen. Von persönlichen Erlebnissen, Schicksalsschlägen, allen voran aber von jüngsten politischen Ereignissen, Sport und Zeitgeschehen. Der älteste Bergener Einwohner legt Wert darauf, mitreden zu können. „Er ist gehbehindert, liest die Zeitung aber jeden Tag von A bis Z und macht mit uns dann Politikauswertung“, freut sich sein Schwiegersohn Günter Ackermann über so viel geistige Beweglichkeit.

Fit hält Siegfried Hüttner auch sein eiserner Wille. Jeden Tag möchte der Jubilar aktiv am Leben teilnehmen. Dreh- und Angelpunkt ist die Familie: Kinder, Enkelkinder und zwei Urenkelinnen. „Von Null bis 100 Jahre wohnt alles in einem Haus“, erzählt seine Tochter Ute Ackermann. Vivien ist mit neun Wochen der jüngste Spross. Wo Siegfried Hüttner heute wohnt, hat er immer gelebt – bis auf eine unfreiwillige Unterbrechung: 1939 ereilte den Bergener die Einberufung zum Militär. Ende 1942 kam er schwer verwundet aus Stalingrad zurück.

Bis kurz nach Kriegsende arbeitete Siegfried Hüttner im Bergener Standesamt, kümmerte sich um die gemeindliche Buchführung, erlebte als Rathausangestellter die amerikanische und russische Besetzung. Später wechselte er zur Energieversorgung Plauen und war dort bis in die Nachwendezeit hinein im Abrechnungswesen beschäftigt. Nebenher engagierte sich Siegfried Hüttner im Bergener Fußballverein als Hauptkassierer und spielte eine wesentliche Rolle beim Aufbau des Sportplatzes und Sportlerheimes. Sich mit ihm zu verständigen, sei damals ganz schwierig gewesen, berichtet der Schwiegersohn. „Zu DDR-Zeiten war er wegen seiner Kriegsverletzung mehr oder weniger taub“, erinnert sich Günter Ackermann. „Es gab keine Hörgeräte, und er konnte quasi an keinem Gespräch teilnehmen. In Stalingrad war unmittelbar neben ihm eine Granate hochgegangen. Er hat einen totalen Gehörschaden davongetragen.“

Aufgeben kam für Siegfried Hüttner nie infrage. Auch wenn er schon frühzeitig Schicksalsschläge verkraften musste: Als er sieben Jahre alt war, verstarb der Vater, an seinem 14. Geburtstag die Mutter, sagt Günter Ackermann. Der größte Verlust sei nach 70 Ehejahren der Tod seiner Frau gewesen.