Von Sylvia Dienel
Der ehemalige Gasthof „Patz“ steht unmittelbar an der Bundesstraße 169. FOTO: SYLVIA DIENEL
Bergen - Ein ehemals schmuckes Haus schräg gegenüber vom Bergener Rathaus löst sich langsam in seine Bestandteile auf. Und wird deshalb zur Gefahrenquelle: Vor dem ehemaligen Gasthof „Patz“ liegen kleine und größere Brocken, die sich vom Sims gelöst haben. Gleich daneben der Fußweg, eine Parkbucht und die Bundesstraße 169. Das leer stehende Gebäude befindet sich in Privathand, sein Besitzer wohnt im Ausland. Weil dringend Handlungsbedarf besteht, hat das Landratsamt Vogtlandkreis nach eingehender Besichtigung ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Es sei darauf ausgerichtet, den Gefahrenbereich abzusichern, erklärt Katrin Müller-Neubert, Leiterin. Sie leitet den Geschäftsbereich II und ist somit für Wirtschaft, Umwelt und Bau zuständig. „Ziel ist es, Gefahren für Leib, Leben und Eigentum zu beseitigen.“
Die Gemeinde ließ den Fußweg sperren. Mehr als diese Vorsichtsmaßnahme sei nicht machbar, äußerte sich Bürgermeister Günter Ackermann dazu. In der Vergangenheit seien Dachreparaturen vom Eigentümer veranlasst worden und Handwerker vor Ort gewesen. Das habe aber nicht gereicht. Vor allem der Sims sei brüchig. „Da ist die Spannung raus. Und die Uhr tickt immer schneller.“ Also zogen Bergen und der Verwaltungsverband Jägerswald, in dem die Gemeinde Mitglied ist, das Landratsamt hinzu. Unerreichbar ist der Eigentümer laut Verbands-Bauamtsleiter Karsten Steudel nicht. „In der Vergangenheit hat es nie Probleme gegeben, wenn Maßnahmen umgesetzt werden mussten.“ Jetzt sieht es anders aus.
Dabei war der im Bergener Volksmund kurz „Patz“ genannte Gasthof einst erstes Haus am Platz und ein Schmuckstück. 1878 gebaut und nach einem seiner vielen Besitzer benannt, durchlebte das Haus Höhen und Tiefen. Friedrich Wilhelm Schiller junior betrieb es von Anfang an mit Tanzsaal. „Das war einer der größten Säle im ganzen Umfeld“, entnimmt Ekkehard Mothes vom Bergener Heimatverein Dokumenten. Im Erdgeschoss befand sich neben der Gaststätte eine Fleischerei und Schlachterei. Zweimal brannte der „Patz“ zwischen 1882 und 1906 ab und wurde wieder aufgebaut. Sein zweiter Eigentümer machte aus dem Gasthof eine Adresse mit Fremdenverkehr. Oben konnten bis zu 30 Gäste nächtigen, im hinteren Gebäudeteil befand sich ein Stall für genauso viele Pferde. Nach zwei weiteren Besitzerwechseln übernahm Namensgeber Kurt Patz die Bewirtschaftung.
Mitte der 1950er-Jahre endete eine Ära in Bergen: Der „Patz“ richtete seinen Fokus auf neue Herausforderungen. Die Gastronomie zog aus und Schulsport ein. „Damals gab es noch keine Turnhalle“, erzählt Heimatvereinschef Ekkehard Mothes. Aber eine eigene Schule, bis der Standort kurz nach der Wende gestrichen wurde. Die Sporträume mit sämtlichen gängigen Gerätschaften befanden sich im Obergeschoss. „Genutzt worden sind sie vor allem im Winterhalbjahr“, so Mothes.
Genug Platz hatte der „Patz“ auch für Lagerräume. Davon machten unter anderem der „VEB Bekleidungswerke“ in Falkenstein Gebrauch. An der Stirnseite befanden sich Wohnungen. Ab 1976 war das Haus wieder für die breite Öffentlichkeit zugänglich: Mitten in Bergen öffnete ein „Konsum Landwarenhaus“ mit Dingen, die weit über den täglichen Bedarf hinausgingen. Zusätzlich zu Lebensmitteln wurden Schuhe, Leder-und Textilwaren, Haushaltchemie, Schreibwaren und Drogerieartikel verkauft. Dann kam die Wende. Mit ihr wehte wieder neuer Wind im Haus. An die Stelle des Konsum rückte ein Geschäft und das hieß „Landkauf“. 2004 gab die Gemeinde ihr Gebäude an die Treuhand zurück, von dort kam es schließlich in Privatbesitz. Vor neun Jahren kehrte die letzten Mieterin dem „Patz“ den Rücken. Seitdem steht das Haus leer.
Sechs oder sieben Gastbetriebe gab es einst in Bergen, inklusive „Waldschlößchen“ am Bahnhof im Ortsteil Steinigt. Der „Patz“ sei die bedeutendste Einkehrstätte gewesen, sagt Ekkehard Mothes. Noch bedeutender als das 2016 nach 137 Bestandsjahren abgerissene Traditionslokal „Goldener Hahn“. „Der hieß früher ´Zentralgasthof´.“ (dien) |